Unter
der Lupe
Anleitung
für die neuen Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn AG
Letztendlich sind es auch Gebrauchsanleitungen: die Faltblätter,
die die Deutsche Bahn ihren neuen Fahrkartenautomaten zur Seite stellt
(bzw. genaugenommen legt oder hängt).
Das Faltblatt „Die neuen Fahrkartenautomaten“ ist ein 6seitiges Leporello
im Hochformat. Die Druckqualität ist ordentlich, das gewählte
Papier hinreichend stabil und die Schrift ausreichend leserlich, so daß
das Faltblatt seinen Zweck zumindest von den äußeren Gegebenheiten
her erfüllen kann: Es hängt neben dem Automaten aus, wer es braucht,
nimmt es vor Ort zur Hand, braucht ein paar Minuten, um es zu lesen und
gegebenenfalls mit seiner Hilfe eine Fahrkarte zu kaufen, danach wird es
wohl normalerweise weggeworfen.
Neben der Titelseite ist eine Einleitung und je eine zweiseitige Anleitung
für die Bedienung der Automaten für DB-Nahverkehrstickets und
für Fernverkehrstickets enthalten. Ich beschränke mich hier auf
die zwei Anleitungsseiten zum Nahverkehrsfahrkarten-Automaten. Die linke
Seite zeigt den Automaten im Überblick, Ziffern stellen die Verbindung
zur Legende her (siehe Bild 1). Die rechte Seite enthält die eigentliche
Gebrauchsanleitung, eine Anleitung in 5 Schritten (siehe Bild 2).
Bild 1: Der Fahrkartenautomat
und seine Bedienelemente auf einen Blick
Bild 2: Gebrauchsanleitung
in fünf Schritten
Zur Gesamtabbildung
mit Legende
Auf der Gesamtabbildung des Fahrscheinautomaten sind Einzelheiten kaum
zu erkennen. Da der Leser den Automaten „live“ vor sich hat, wenn er die
Anleitung liest bzw. befolgen will, ist dies kein besonderes Manko. Jedes
Detail ist anhand des vorhandenen Objekts wiederzuerkennen.
Weiße Ziffern auf rotem Grund (Kreis) stellen die Verbindung
zur unter der Abbildung befindlichen Legende her. Welche Ziffer welches
Detail benennt, ist problemlos zu erkennen. Doch ob es ein Prinzip für
die Anordnung der Ziffern gibt? Im großen und ganzen sind die Ziffern
auf der Gesamtabbildung von oben nach unten angeordnet, aber wirklich nur
im großen und ganzen. Würde man die Ziffern der Reihe nach von
links oben bis rechts unten lesen, ergäbe sich 1-2-5-3-4-6-8-7-9-10.
Man könnte nun vermuten, daß die gewählte Reihenfolge in
einem Zusammenhang mit den Handlungsschritten steht; dies ist aber nicht
der Fall, wie sich noch herausstellen wird.
Ferner fällt auf, daß nicht alle Teile des Automaten beziffert
sind. Rechts neben den Ziffern 5 (Korrektur-Taste) und 4 (Plus-Taste) befinden
sich zwei Elemente, die nicht in der Legende bezeichnet sind (siehe Bild
1).
Zur Anleitung
in fünf Schritten
Unter der vielversprechenden Überschrift „So einfach ziehen Sie
Ihr Ticket“ ist in fünf Schritten erklärt, wie der Kunde zu seiner
Fahrkarte kommt. Auch hier spielt die Numerierung wieder eine wichtige
Rolle. Der erste Schritt hat die Nummer 1; sie erscheint weiß auf
einer roten, rechteckigen Fläche. Innerhalb des zugehörigen Textes
erscheint auch die 1 aus der Legende (weiß auf rotem Kreis) wieder.
Auf diese Weise baut sich hier die Erwartungshaltung beim Leser auf, daß
es in Schritt 1 um Element 1, in Schritt 2 um Element 2 usw. gehen wird.
Diese Erwartung wird allerdings schon in Schritt 2 enttäuscht:
Schritt 2 hat die Eingabe eines Nummerncodes über die Tastatur zum
Inhalt – und die Tastatur ist Element 6 des Automaten. So geht es in den
drei folgenden Schritten weiter: viele Ziffern, aber kein System. Dem Leser
wird einiges an Konzentration abverlangt, um hier nicht konfus zu werden.
Vollständigkeit
Im nachhinein fällt auf: Trotz der vielen Ziffern ist die Anleitung
nicht vollständig. Zu den Elementen 4, 5 und 9 aus der Gesamtabbildung/Legende
fehlt jede Anleitung. Dabei ist ihre Funktion durchaus keine Selbstverständlichkeit:
In welchen Situationen kann die Korrektur-Taste gedrückt werden? Was
passiert in diesem Fall z. B. mit bereits eingeworfenen Münzen? Wie
funktioniert die Plus-Taste? In welchen Fällen werden Banknoten zurückgegeben?
Als Wechselgeld? Oder wenn sie schadhaft, ungültig oder was auch immer
sind?
Auch andere Informationen vermißt man in der Anleitung. So ist
es kaum möglich, anhand der Anleitung z. B. eine Mehrfahrtenkarte
oder ein Tagesticket zu erstehen, die ja nicht für eine bestimmte
Strecke von A nach B gedacht sind, sondern eine bestimmte Anzahl Zonen
abdecken. Wie die benötigten Zonen und die ihnen entsprechenden Code-Nummern
ermittelt werden können, geht aus der Anleitung nicht hervor. (In
der Tat ist dies ohne Zusatzinformationen nur anhand der Fahrzielliste
am Automaten kaum möglich; zumindest sollte aber erklärt werden,
welche Nummerncodes in diesen Fällen eingegeben werden müssen.)
Wie bereits im Hinblick auf die unvollständige Legende bemerkt,
fehlen auch in der schrittweisen Anleitung wieder Hinweise auf die Bedeutung
und Funktion der beiden neben der Korrektur- und der Plus-Taste angeordneten
Elemente des Automaten.
Des weiteren sucht man bei Handlungsschritt 4 vergeblich einen Hinweis
darauf, welche Münzen und Banknoten der Automat akzeptiert.
Völlig zu Recht in dieser Anleitung nicht enthalten sind schließlich
Tarifinformationen. Sie wären sehr umfangreich – es gibt separate
Heftchen und Aushänge zu diesem Thema –, und außerdem ändern
sich die Tarife wesentlich häufiger als die Automatenmodelle. Es ist
unter diesen Gesichtspunkten den Nutzern der Automaten zuzumuten, sich
anderweitig über das jeweils gültige Tarifsystem zu informieren.
Anmerkungen
zum Text
In die Lage, einen Fahrschein aus einem Automaten ziehen zu wollen,
kann „jeder“ kommen, die Zielgruppe ist kaum einzugrenzen. Unter sprachlichem
Aspekt ist zu beachten, daß viele Benutzer dieser Automaten des Deutschen
nicht oder nur unzureichend mächtig sind. Vielleicht wäre eine
Anleitung nur in Bildern möglich? Oder wenigstens in den am häufigsten
vorkommenden Muttersprachen? Aber auch abgesehen von denjenigen, die nicht
Deutsch sprechen, sollte die Anleitung ohne weiteres verständlich
sein.
Der Verständlichkeit läuft der in der Legende durchgängige
Nominalstil zuwider: „Zielverzeichnis“, „Änderung“, „Eingabe“ usw.
usf., darunter auch wahre Wortungetüme wie „Münzeinwurfschlitz“
oder „Bildschirm-Anzeigenfeld“. Zum einen wäre in diesem Zusammenhang
zu fragen, ob es nicht auch in einer Legende möglich ist, den Nutzer
direkt anzusprechen und dabei Verben zu benutzen: Warum nicht „Hier bekommen
Sie Ihre Fahrkarte und Ihr Wechselgeld.“ anstatt „Ausgabefach für
Fahrkarten und Wechselgeld“? Wortungetüme sollten vermieden werden:
Statt „Zieleverzeichnis der Ziele“ würde doch sicher auch ein „Verzeichnis
der Ziele“ reichen, und statt „Bildschirm-Anzeigenfeld“ würde es wahrscheinlich
auch eine „Bildschirm-Anzeige“ oder überhaupt nur eine „Anzeige“ oder
gar das neudeutsche „Display“ tun.
Auch die verwendete Terminologie wirft Fragen auf. Da gibt es beispielsweise
den außerhalb des Bankwesens eher ungebräuchlichen Begriff der
„Banknote“ – alle Welt nennt sie „Geldschein“ oder einfach „Schein“. An
anderen Stellen kämpfen Modern-/Internationalismen mit Althergebrachtem,
vielleicht als bieder Empfundenem: So konkurriert das „Display“, wie schon
gesehen, mit dem „Bildschirm-Anzeigenfeld“, wobei das „Display“ offenbar
die Sache für sich entscheiden kann, und das „Ticket“ (in der Legende,
4; in der Überschrift und dem Einleitungssatz auf der rechten Seite)
tritt gegen den „Fahrschein“ (in Handlungsschritt 3) und die „Fahrkarte“
(auf dem Automaten selbst; in der Legende, 7 und 10; in Handlungsschritt
5) an. Wenigstens bleiben „Fahrausweise“ den Lesern erspart! Nachdem man
sich bei der Gestaltung der Automaten bereits für die etwas anachronistisch
anmutenden Eisenbahn-Fahr-„Karten“ entschieden hat, sollte man konsequenterweise
wohl auch in der Anleitung bei diesem Begriff bleiben.
Stuttgart
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