Inhalt:
Einführung
Rechtsbegriffe
allgemeine Sorgfaltspflicht
Technisch möglich
Wirtschaftlich zumutbar
Regeln der Technik
Stand der Technik
Wissenschaft und Technik
Autor
Fundstellen
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Notwendiges
Wissen vom Recht für Prüfingenieure
1. Ingenieurausbildung
ohne Recht
In den Ausbildungsplänen, sowohl von Fachhochschulen als auch von
Universitäten und Technischen Hochschulen für Ingenieure z. B.
im Maschinenbau, der Elektrotechnik und Elektronik fehlen Angebote zum
Vermitteln von Kenntnissen aus den verschiedenen Rechtsbereichen. Kommt
es im Beruf später zum Streit oder zu Schäden als Folge von und
durch Tätigkeiten von Ingenieuren, so werden diese Fälle von
Gerichten nach Grundsätzen und Kriterien bewertet und entschieden,
die den handelnden Ingenieuren unbekannt sind und die sie deshalb bei ihrem
Handeln oder Unterlassen nicht angemessen berücksichtigen konnten.
Dieser Konstruktionsfehler der öffentlichen Ausbildung betrifft
alle tätigen Ingenieure, ebenso jungingenieure, die erst in Zukunft
ihre Arbeit aufnehmen. Er ist als Systemfehler besonders schwerwiegend.
Dieser grundlegende Fehler im Inhalt der sonst nur technischen Ausbildung
kann später nur durch gezielte Weiterbildung und nachträgliche
Vermittlung von zusätzlichen Kenntnissen der einzelnen Rechtsbereiche
ausgeglichen und differenziert nach den unterschiedlichen Anforderungen
an die einzelnen Ingenieurtätigkeiten ausgebessert werden.
Nach Inhalt und Umfang ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an
die Pflichten des Ingenieurs, Je nachdem, ob er als Konstrukteur, Betriebsleiter,
Verkäufer, Projektingenieur oder im Kundendienst tätig ist. Dies
gilt in besonderem Maße für Prüfingenieure, da ihre tägliche
Arbeit Aussagen über die Eignung der Produkte für die vorgesehenen
Anwendungen, die Übereinstimmung mit den Bestellbedingungen und mit
Normen und Regelwerken gewidmet ist.
Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass wesentliche Anforderungen
in unbestimmten Rechtsbegriffen vom Gesetzgeber in Gesetze, Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB), Handelsgesetzbuch (HGB) oder Spezialgesetze wie das Gerätesicherheitsgesetz
(GSG), Arzneimittelgesetz (AMG), Bauproduktengesetz (BPG) aufgenommen wurden,
die für die tägliche Arbeit der Ingenieure der Präzisierung
und Konkretisierung bedürfen, um technisch ausführbar zu werden.
Eine wichtige Rolle für das Auslegen unbestimmter Rechtsbegriffe
spielt die höchstrichterliche Rechtsprechung. Was die Rechtsprechung
durch den Bundesgerichtshof für Zivil- und Strafrecht, das Bundesverfassungsgericht,
das Bundesarbeitsgericht festgelegt und endgültig entschieden hat,
bindet die unteren Gerichte und schafft damit indirekt wirksame Beurteilungskriterien
für künftige Fälle, an denen das Verhalten und die Ergebnisse
der Ingenieurtätigkeit für ähnliche Teilarbeiten zu messen
sind.
Das Subsidiaritätsprinzip des Verweisens zum Ausfüllen unbestimmter
Rechtsbegriffe auf allgemein anerkannte Regeln der Technik ist oft wenig
hilfreich. In allgemein anerkannten Regeln der Technik werden zwar technische
Verfahren und Einzelanforderungen festgelegt, sie sind jedoch von ihrer
Struktur her meist nicht geeignet, rechtliche Anforderungen an handelnde
Personen gleich welcher Qualifikation spezifisch auswertbar angemessen
auszufüllen. Dies ist nach unserer Rechtsordnung nur durch dazu von
der Verfassung legitimierte Institutionen möglich, die entweder als
Teil der Legislative oder als unabhängige Rechtsprechung dazu bevollmächtigt
sind.
Die Ergebnisse der Rechtsprechung sind Urteile der unterschiedlichen
Instanzen zu Einzelfällen, letztlich der höchstrichterlichen
Bundesgerichte, deren Lektüre und Inhalte dem tätigen Ingenieur
fremd sind, nicht zu seinen regelmäßigen Informationen zählen
und ihrer Formulierungen nach für Ingenieure meist nicht angemessen
verständlich sind. Ihrem direkten Auswerten als Richtschnur für
zukünftiges Verhalten sind dadurch natürliche Grenzen gesetzt.
Sie bedürfen meist der erläuternden Umsetzung.
So sind alle rechtlichen Anforderungen aus der Produkthaftung ausschließlich
in heute über 300 Urteilen des Bundesgerichtshofes (BGH) sowohl des
Zivil- wie des Strafrechtes formuliert [l], sie sind in keinem zusammenfassenden
Gesetz oder einer anderen für Ingenieure leicht zugänglichen
und verständlichen Zusammenfassung zu finden.
Für die Anforderungen und Beurteilungskriterien aus
diesem Rechtsbereich können sie deshalb nur durch eine gezielte
Durchsicht der hierzu Aussagen enthaltenden einzelnen Urteile gewonnen
werden. Selbst die Stichworte dazu enthalten keine technisch auswertbaren
Kriterien [1].
In juristischen Sammlungen sind die einzelnen Urteile und ihre Begründungen
zu finden, sie erschließen sich dem tätigen Ingenieur, erst
recht den Studierenden, nur schwer, meist überhaupt nicht, weil sie
Kenntnisse der spezifischen juristischen Begriffsinhalte voraussetzen und
durch ihr Verweisen auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen und weitere Urteile
nicht leicht auswertbar sind [2].
Zum Konkretisieren wird auf allgemeine Begriffe und Bezeichnungen verwiesen,
deren auch teilweise technische Inhalte nicht immer allgemein zweifelsfrei
festzustellen sind und die sich im Laufe der technischen, wirtschaftlichen
und sozialen Entwicklung häufig ändern.
Das beste Beispiel sind die als Dreistufentheorie bezeichneten aufeinander
aufbauenden Begriffe der
-
„allgemein anerkannten Regeln der Technik",
-
des „Standes der Technik" und
-
des „Standes von Wissenschaft und Technik",
die seit 1900 nach Untersuchungen an der Universität Münster
in über 35 Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen usw.) eingingen, ohne
dass sie vom Gesetzgeber allgemein verbindlich definiert wurden [3]. Die
rechtlich bindende Definition hat erst das Bundesverfassungsgericht in
seinem grundlegenden Urteil zur Genehmigungsfähigkeit des Schnellen
Brüters in Kalkar 1978 nachgeholt [4], deren ebenfalls abstrakte Formulierungen
- siehe Abschn. 2.3 - 2.5 - solange rechtsverbindlich bleiben, wie der
Gesetzgeber nicht andere Definitionen verbindlich festlegt - womit in naher
Zukunft nicht zu rechnen ist.
Ohne Kenntnis der allgemeinen übergeordneten Grundbegriffe sind
Festlegungen in höchstrichterlichen Urteilen zu Einzelheiten der Anforderungen
an die Ingenieurtätigkeiten nicht verständlich, erst recht nicht
in angemessenes praktisches Handeln umzusetzen. Die hier bezogen auf Prüfungen,
Prüfverfahren und deren Bescheinigungen wiedergegebene Auswertung
kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und bedarf für
angrenzende oder vorausgehende Tätigkeiten und Abläufe der spezifischen
Ergänzung [5].
2. Allgemeine Rechtsbegriffe
für die Ingenieurtätigkeit
Wesentliche Bewertungskriterien für Inhalt, Umfang und Ergebnis
der Ingenieurtätigkeiten resultieren aus allgemeinen unbestimmten
Rechtsbegriffen, die für jede Ingenieurtätigkeit Maßstäbe
gesetzt haben und nach den Bedingungen des Einzelfalles spezifiziert und
konkretisiert werden müssen.
2.1 Die allgemeine
Sorgfalts- oder Verkehrssicherungspflicht
Für Tätigkeiten aller Art verlangt die Rechtsordnung, die
jeweils angemessenen Sorgfalts- oder Verkehrssicherungs-pflichten zu beachten
und bei eigenem Handeln (oder Unterlassen) ausreichend zu berücksichtigen
[6].
Diese allgemeine Sorgfaltspflicht wurde 1903 durch das Reichsgericht
in Leipzig als eine erste Auslegung des zum 1.1.1900 in Kraft getretenen
BGB definiert. Sie ist eine
Pflicht zum Handeln - oder Unterlassen - zum Vermeiden, Verhindern
oder Vermindern von - abwendbaren - Gefahren für Benutzer oder Dritte
[7].
Für Ingenieurtätigkeiten lauten sich daraus ableitende Pflichten:
Wer
-
eine Gefahrenquelle schafft,
-
erkennt oder
-
hätte erkennen können
hat die zum Schutze der Benutzer und unbeteiligter Dritter notwendigen
und erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Gefahren aller Art
bei bestimmungsgemäßer Verwendung vorbeugend sicher zu vermeiden
[8].
Für das konkrete Auslegen der sich aus dieser allgemeinen Definition
ergebenden Anforderungen an die einzelnen unterschiedlichen Ingenieurtätigkeiten
kommt es auf die Bedingungen des jeweiligen Einzelfalles an, für die
zutreffende allgemein anerkannte Regeln der Technik - siehe 2.3 - das technisch
Notwendige spezifizieren, das technisch Erforderliche wird durch den stets
darüber hinausgehenden Stand der Technik - siehe 2.4 -, differenziert
nach den einzelnen Arbeitsbereichen definiert.
Die Inhalte und Grenzen werden durch zwei weitere unbestimmte Rechtsbegriffe
gesetzt:
-
das technisch Mögliche und
-
das wirtschaftlich Zumutbare.
2.2.1 Das technisch
Mögliche
Das notwendige Mindestmaß des technisch Möglichen wird produktspezifisch
und anwendungsbezogen durch
die dafür zutreffenden allgemein anerkannten Regeln der Technik
- siehe 2, 3 - bestimmt, die jeweils zeitpunktbezogen die konkreten, technisch
Inhaltlichen Anforderungen an Handeln - oder Unterlassen - für die
einzelnen Ingenieurtätigkeiten setzen [5].
2.2.2 Das Wirtschaftlich
Zumutbare
Der wirtschaftliche Maßstab für Umfang und Inhalt des danach
technisch Notwendigen und Erforderlichen wird beschrieben durch die wirtschaftliche
Zumutbarkeit. Die wirtschaftliche Zumutbarkeit wird nicht durch Vorgaben
der Betriebswirtschaft, des Käufers oder sonstiger wirtschaftlich
orientierter Institutionen bestimmt. Das wirtschaftlich Zumutbare bestimmt
sich allein aus
den voraussehbaren Folgen beim Versagen der einzelnen Erzeugnisse,
Anlagen, Maschinen unter allen voraussehbaren Einsatzbedingungen.
Die Ausrichtung des wirtschaftlich Zumutbaren an den voraussehbaren Folgen
von Schäden schafft die notwendige Differenzierung nach den Folgen
von Schäden. Sind Personenschäden voraussehbar, ist das Maß
des wirtschaftlich Zumutbaren erheblich höher als wenn nur Sachschäden
zu befürchten sind. Die sich daraus ergebenden einzelnen Abstufungen
an die Inhalte der einzelnen Tätigkeiten sind produktspezifisch und
anwendungsbezogen auszufüllen.
Aus den allgemeinen und abgeleiteten zu erfüllenden Sorgfaltspflichten
der Handelnden leiten sich spezifische zu erfüllende Kardinalpflichten
ab, die ebenfalls im Einzelfall zu definieren und zu konkretisieren sind.
Kardinalpflichten sind Pflichten, für die sich der Handelnde (oder
Unterlassende) nicht freizeichnen und die er auch nicht auf andere Institutionen
oder Personen delegieren kann. Was das konkret im Einzelnen enthält,
kann wiederum nur aus den Bedingungen des Einzelfalles abgeleitet werden.
Für die Bewertung des Verhaltens von Ingenieuren ist die Dreistufengliederung
- siehe 2.3 - 2.5 - der aktuelle wenn auch abstrakte Maßstab.
2.3 Die allgemein anerkannten Regeln
der Technik
Die Entwicklung der Technik in den einzelnen Bereichen ist so schnell
und so unterschiedlich, dass der Gesetzgeber auf im Einzelnen technisch
konkret ausgeführte Anforderungsketten mit allen erforderlichen technischen
Einzelheiten im Regelfall verzichtet.
Normenorganisationen, technisch-wissenschaftliche Vereine und andere
technisch legitimierte Organisationen können schneller, wirksamer
und auch bei Änderungen konkreter arbeiten, als dies im langwierigen
Verfahren durch inhaltlich zutreffende Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen
usw.) möglich wäre. Für das technisch konkrete Ausfüllen
der allgemeinen unbestimmten Rechtsbegriffe verweist der Gesetzgeber deshalb
subsidiär auf die relevanten allgemein anerkannten Regeln der Technik
[2, 3]. Beispielhaft ist dafür die Formulierung des Gerätesicherheitsgesetzes:
„ Technische Arbeitsmittel, für die in Rechtsverordnungen nach
diesem Gesetz keine Anforderungen enthalten sind, dürfen nur in Verkehr
gebracht werden, wenn sie nach den all gemein anerkannten Regeln der Technik
so beschaffen sind, dass Benutzer oder Dritte bei ihrer bestimmungsgemäßen
Verwendung gegen Gefahren aller Art für Leben oder Gesundheit soweit
geschützt sind, wie es die Art der bestimmungsgemäßen Verwendung
gestattet.
Gerätesicherheitsgesetz § 3 Abs. 2
Die Definition des Bundesverfassungsgerichtes zu anerkannten Regeln der
Technik lautet:
Von der Mehrheit der Fachleute anerkannte,
-
wissenschaftlich begründete,
-
praktisch erprobte und
-
ausreichend bewährte
Regeln zum Lösen technischer Aufgaben [5].
Sie müssen Mosaiksteine eines allgemeinen, in sich schlüssigen
technischen Regelwerkes sein und in ihrer Wirksamkeit von der Mehrheit
der Fachleute des jeweiligen Bereiches als richtig und zweckmäßig
anerkannt sein [2].
Die Voraussetzungen zum Schaffen allgemein anerkannter Regeln der Technik
hat der BGH ebenfalls konkret definiert [9]:
-
Das herausgebende Gremium muß durch die Mitarbeit von Fachleuten
aller betroffenen Bereiche als technisch repräsentativ nachweisbar
legitimiert sein. Unvollständig durch Verzicht auf die Mitarbeit einzelner
direkt betroffener Bereiche geschaffene Regeln können nicht den rechtlichen
Status „allgemein anerkannt" erhalten. Die Entwürfe müssen allen,
auch unbeteiligten Fachleuten für einen ausreichend langen Zeitraum
öffentlich zugänglich sein, um von ihnen geprüft werden
zu können und um ihnen die Möglichkeit zu geben, Hinweise zu
oder Einsprüche gegen vorgesehene Regelungen zu formulieren.
-
Nach dem Ende der eindeutig zu terminierenden Einspruchsfrist müssen
alle Einsprechenden zu einer Auswertungssitzung geladen werden, damit sie
ihre Hinweise und Einsprüche persönlich vortragen und begründen
können.
-
Kommt es als Ergebnis dieser Auswertungssitzung nicht zu einem allgemeinen
Konsens, so muss ein fachlich qualifiziertes weiteres unabhängiges
Gremium bestehen, in dem die Entscheidungen der ersten erstellenden Instanz
einer sachlich-inhaltlichen Revision unterzogen werden können und
die danach endgültig entscheidet.
Die hierfür formulierten Regeln entsprechen im Wesentlichen der Geschäftsordnung
der Normenausschüsse des Deutschen Instituts für Normung (DIN),
wie sie DIN 820 Teil 4 kodifiziert. Organisationen, die diese organisatorischen
Voraussetzungen nicht in ihrer Satzung vorsehen und im Einzelfall einhalten,
können keine allgemein anerkannten Regeln der Technik schaffen. Ihre
Ergebnisse mögen im Einzelfall für die Bewertung des technisch
Möglichen und Üblichen Hinweise geben, sie erfüllen jedoch
nicht die rechtlichen Voraussetzungen an allgemein anerkannte Regeln der
Technik und erlauben deshalb keine Schlussfolgerungen, wie sie beim Beachten
allgemein anerkannter Regeln der Technik Gesetz und Rechtsprechung festgeschrieben
haben. So sind Vorgaben und Forderungen des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie
(VDA) ebensowenig allgemein anerkannte Regeln der Technik, wie die QM-Organisationsnormen
DIN ISO 9000 ff.
Wer allgemein anerkannte Regeln der Technik einhält, hat die -
im Einzelfall widerlegbare - Vermutung für sich,
dass er das technisch Notwendige in seinem Handeln -
oder Unterlassen erfüllt hat. Dies kann im Streitfall durch das
Gericht geprüft und als Irrtum klassifiziert werden. Der allgemein
anerkannte Regeln der Technik Einhaltende jedoch kann für sich den
Schutz der Vermutung der Gesetzeserfüllung reklamieren, wie dies die
Begründung zum Produkthaftungsgesetz ausdrücklich ausweist.
Was allgemein anerkannte Regeln der Technik sind, und ob solche Regeln
von den Fachleuten des jeweiligen Bereiches allgemein anerkannt sind, unterliegt
der Prüfung durch das Gericht unter Hinzuziehen von Sachverständigen,
vornehmlich von öffentlich bestellten und vereidigten, als Gehilfen
der Rechtsprechung.
Mit dem neuen Konzept nach der EG-Richtlinie vom 7. Juli 1985 wurde
diese Konstruktion allgemein anerkannter Regeln der Technik und ihrer rechtlichen
Bewertung als widerlegbare Erfüllungsvermutung auch für die Rechtsnormen
des EU-Rechtes übernommen:
Um den Herstellern den Nachweis über die Übereinstimmung
mit diesen grundlegenden Anforderungen zu erleichtern und um die Übereinstimmung
überprüfen zu können, sind harmonisierte Normen auf europäischer
Ebene über die Verhütung von Gefahren, die durch die Entwicklung
und den Bau von Maschinen entstehen können, wünschenswert.
Diese auf europäischer Ebene harmonisierten Normen werden von
privatrechtlichen Institutionen entwickelt und müssen unverbindliche
Bestimmungen bleiben.
EG-Maschinenrichtline, Erwägungen zum Art. 5
Verfügbare allgemein anerkannte Regeln der Technik werden mit der
praktisch erreichbaren Vollständigkeit im DIN-Katalog anerkannter
Regeln der Technik ausgewiesen, den das DITR Deutsches Informationszentrum
technischer Regelwerke GmbH als Tochtergesellschaft des Deutschen Instituts
für Normung (DIN) e.V. jedes Jahr im Frühjahr zum Stand des 1.1.
des jeweiligen Jahres herausgibt. Alles was allgemein anerkannte Regel
der Technik sein kann, aber nicht sein muss, ist dort gelistet. Den Führungskräften
und Mitarbeitern unaufgefordert die jeweiligen aktuellen anerkannten Regeln
der Technik zur Verfügung zu stellen, ist Teil der undelegierbaren
Verantwortung der Geschäftsleitung. Es gehört zur Sorgfalt und
nicht delegierbaren Kardinalpflicht des einzelnen Ingenieurs für seinen
persönlichen Arbeitsbereich, die darin ausgewiesenen Regeln zu prüfen,
-
ob sie im jeweiligen Fall anwendbar sind,
-
ob sie dem ihm bekannten Stand der Technik entsprechen
-
ob und welche Änderungen oder Ergänzungen erforderlich sind,
um den Stand der Technik einzuhalten
-
ob und wieweit dies nachgewiesen ist und was dazu wie weit dokumentiert
werden sollte.
Nachweise dieser Art unterliegen im Streit-/Schadensfall der Prüfung
durch Sachverständige, wenn und soweit ein Berufen hierauf zum Nachweis
des Erfüllens der persönlichen Sorgfalt geführt werden soll.
Auf CD ROM ist monatlich aktualisiert diese Übersicht jetzt einfach
und leicht auswertbar verfügbar Die Rolle der allgemein anerkannten
Regeln der Technik zum Erfüllen von Sorgfaltspflichten hat der BGH
im Abgrenzen zum erkennbaren Stand der Technik eindeutig definiert:
Es genügt nicht, DIN Normen zu erfüllen, wenn die technische
Entwicklung darüber hinausgegangen ist.
Das Gleiche gilt, wenn sich bei der Benutzung eines technischen Gerätes
Gefahren gezeigt haben, die in DIN Normen noch nicht berücksichtigt
sind.
Diese Verpflichtung besteht in besonderer Weise, wenn genaue Kenntnisse
über Überarbeitungen der Norm im maßgeblichen Arbeitskreis
des DIN vorhanden sind, weil der Vorsitzende des Arbeitskreises ein Betriebsangehöriger
ist.
BGH VI ZR 10/93 vom 27.9.1994, NJW 1994 S. 3349/51
2.4 Der Stand
der Technik
Das Einhalten der allgemein anerkannten Regeln der Technik ist notwendig,
aber zum Erfüllen der Anforderungen an die eigenen Sorgfaltspflichten
nicht ausreichend, erforderlich ist der Nachweis des Einhaltens des Standes
der Technik.
Nach der Definition durch das BVG geht der Stand der Technik stets über
den in allgemein anerkannten Regeln der Technik ausgewiesenen hinaus und
enthält das Fachleuten verfügbare Fachwissen
-
wissenschaftlich begründet,
-
praktisch erprobt und
-
ausreichend bewährt.
Es braucht noch nicht in der Form von Regeln als Mosaikstein für ein
umfassendes Regelwerk kodifiziert zu sein, Kenntnis und Anwendung bestimmten
Wissens sind ausreichend, aber auch erforderlich [2, 5].
Was Stand der Technik für einzelne Produkte, Verfahren und Dienstleistungen
ist, wird durch Sachverständigengutachten, möglichst öffentlich
bestellter und vereidigter Sachverständiger, Verfahrensvergleiche,
Auswerten des Schrifttums und von Kongressen und anderen Fachveranstaltungen
nachgewiesen, vom Gericht geprüft und in seine Entscheidungsfindung
einbezogen. Es wird aus dem Vergleich von Produkten, deren Wirksamkeit
und Zuverlässigkeit im Einzelfall für einen bestimmten Zeitpunkt
und die jeweilige Anwendung abgeleitet und begründet.
Nur das Einhalten des so definierten und nachweisbaren Standes der Technik
entspricht dem vollen Erfüllen der persönlichen Sorgfaltspflicht
für Handeln - oder Unterlassen -der Unternehmen als juristischer Personen
wie der einzelnen Arten und Inhalte der Tätigkeiten von Ingenieuren.
2.5 Stand
von Wissenschaft und Technik
Die höchste Stufe des Auswertens externen Wissens ist der Stand
von Wissenschaft und Technik. Es wird von der Rechtsordnung nur gefordert
für Arbeiten nach dem Bundesatomgesetz und der Strahlenschutzverordnung
(Laser),
für alle anderen Ingenieurtätigkeiten geht dies über
die üblichen Sorgfaltspflichten hinaus. Die Definition nach dem BVG:
Der neueste Stand von Wissenschaft und Technik
-
wissenschaftlich begründet,
-
technisch als durchführbar erwiesen,
-
ohne praktische Bewährung,
-
öffentlich zugänglich [nicht hinter Institutsmauern verborgen),
-
ohne räumliche Grenzen - weltwelt.
Der Stand von Wissenschaft und Technik grenzt in der Produkthaftung den
- verschuldungsfreien - Entwicklungsfehler vom verschuldensbegründenden
Konstruktionsfehler ab [10, 11]. Was nach dem Stand von Wissenschaft und
Technik für Konstruktion und bei dessen Auswerten nicht erkennbar
war, kann auch durch alle Sorgfalt nicht wirksam vermieden werden. Dies
gilt sowohl für die deutsche Rechtsprechung als auch für die
EU-Richtlinie zur Produkthaftung im Produkthaftungsgesetz.
Der Nachweis eines nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht
erkennbaren und damit nicht vermeidbaren Fehlers ist schwierig und gelingt
nur selten. Die berühmtesten Fälle sind Contergan und der Stahlgürtel-Hochgeschwindigkeitsreifen-Fall
[1, 12].
Versuche, in Verträgen dem Partner Verpflichtungen zur Sorgfalt
nach dem Stand von Wissenschaft und Technik als Maßstab für
sein Handeln zu übertragen, sind rechtlich unzulässig und von
Anfang an unwirksam, da sie gegen zwingende Maßstäbe der höchstrichterlichen
Rechtsprechung verstoßen, auch wenn dies von staatlichen Stellen
oder im öffentlichen Besitz befindlichen Unternehmen und Institutionen
zum angeblich eigenen „Ab-sichern" nicht gerade selten versucht wird. Vorgaben
dieser Art sollte stets begründet widersprochen werden [13].
Wuppertal
Der Autor: Studium an der
TH Karlsruhe, TH Hannover und Manhattan-College New York, Abschluß-Diplom
Fertigungstechnik bei Prof. Dr. 0. Kienzle.
1955 - 1983 Geschäftsführer
einer Schraubenfabrik, 9 Jahre Handelsrichter am Landgericht Wuppertal,
2 Wahlperioden Mitglied des DIN- Präsidiums, 1967 -1982 Vizepräsident
der IHK Wuppertal.
Seit 1984 öffentlich
bestellter und vereidigter SV für die „ Technik lösbarer Verbindungen".
1987 - 1994 oberster Produktsicherheits-/Produkthaftungsingenieur
des HDI.
Schrifttum:
-
Schmidt-Salzer, J.: Entscheidungssammlung
Produkthaftung, Bd. 1 - VI, Alfred Metzler-Verlag Frankfurt/M. 1972-1996
-
Niklisch, F.: Die Bedeutung
technischer Regelwerke zur Konkretisierung juristischer Generalklauseln,
RWTÜV Schriftenreihe 33, S. 9-13, Techn. Überwachungsverein Essen
1984
-
Budde, E.: Die Begriffe „Anerkannte
Regeln der Technik", „Stand der Technik" und „Stand von Wissenschaft und
Technik" und ihre Bedeutung, DIN-Mitteilungen 490980) 12, S. 738/9
-
Bundesverfassungsgericht Entscheidung
vom 8. VIII- 1978 (Kalkar), NJW1979 S. 359-362
-
Bauer, C.O.: Rechtsbegriffe
technischer Sachverhalte, Werkstatt und Betrieb 120 (1987), H, 11, S. 904/907
-
Marburger, P.: Die Regeln der
Technik im Recht, Carl Heyman's Verlag Köln 1979
-
Pahland Großkommentar
zum BGB, 41. Auflage, C.H. Beck Verlag München 1981
-
Münchener Kommentar BGB
Bd. 3 1980
-
Bauer, C. 0.: Voraussetzungen
zum Erstellen von Regeln der Technik, Werkstatt und Betrieb 120 (1987)
H. 12, S. 980-983
-
Kullmann/Pfister Produzentenhaftung,
Handbuch 1980 und laufende Ergänzungen, Erich Schmidt Verlag Bielefeld
-
Anhalt, P.: Produzentenhaftung
1978
-
Westphalen, F. Graf v.: Produkthaftungshandbuch,
C.H. Beck Verlag München, 2.Auflage 1998
-
Westphalen/Bauer: Qualitätssicherungsvereinbarungen
und Just-in-Time, RWS Verlag Köln 1993 H.Loewe u. Graf v. Westphalen
Großkommentar zum AGBG, C.H. Beck Verlag München
|