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Sprachlabor
Operator-Skopus-Strukturen in gesprochener
Sprache
Ein Projekt des Instituts
für Deutsche Sprache, Mannheim.
Auszüge aus den Untersuchungsergebnissen.
Die Kategorie ‚Operator-Skopus-Struktur‘
Fragt man, was die folgenden Beispiele vereint, fällt eine Antwort
darauf vermutlich nicht leicht:
-
kurz und gut- wir können uns das * a"benteuer nicht leisten
(4050.241) (Fußnote 1)
-
ja- * gut- ** sicher der ton macht immer die musik (3002.32)
-
da blieb mir natürlich nichts andres übrig als mich zu beschwe"rn
allerdings der erfolg * war sehr geri"ng (PFE/BRD, cp010)
-
>s=war ä bissl engp < * obwohl * im kaisersaal * war=s no"ch
enger (2001.15a)
-
sagen sie st/ äh stimmen denn die stunden die da angegeben
worden sind (3003.99a)
Unsere (Fußnote 2) Antwort auf diese Frage lautet,
dass es sich in allen Fällen um Vorkommen der Operator-Skopus-Struktur
handelt. Operator-Skopus-Strukturen sind spezifische zweigliedrige sprachliche
Einheiten, deren einer Bestandteil, der Operator, aus einem Wort oder einer
kurzen Formel besteht (in den oben stehenden Beispielen jeweils kursiv
gesetzt), und deren anderer Bestandteil, der Skopus, eine vollständige
Äußerung darstellt. Wir sprechen von Operator-Skopus-Strukturen,
weil der Operator sich auf einen Skopus bezieht, den er in spezifischer
Weise qualifiziert: Der Operator gibt – funktional betrachtet – dem Hörer
eine Verstehensanleitung oder -anweisung, wie die Äußerung
in seinen Skopus aufzunehmen ist. (Fußnote 3) In
(1) z.B. kündigt der Sprecher mit kurz und gut dem Hörer
an, dass eine zusammenfassende Aussage zu erwarten ist, in (2) wird mit
sicher die Verstehensanleitung gegeben, dass die folgende Äußerung
als Einräumung aufzufassen ist, und in (4) signalisiert allerdings
dem Hörer, dass die folgende Äußerung in einer Gegensatzrelation
zur vorhergehenden steht.
Wenn der Operator eine Verstehensanleitung gibt, so scheint es aus der
Perspektive der Rezeption betrachtet sinnvoll, dass er dem Skopus vorausgeht.
Gleichwohl ist es bei einigen Operatoren möglich, dass sie in die
Bezugsäußerung eingelagert sind (da"s * meine ich- *
sollten sie wenichstens bei ausarbeitung- * äh dieser zusammenstellung-
* überlegen (3005.24)) oder ihr folgen (es war wirklich kruder schwachsinn
ehrlich gesacht (4051.01)). Operatoren der hier behandelten Art
haben eine projektive Kraft, sie machen etwas erwartbar, und die geben
im zeitlichen Prozess des Sprechens eine (in der Regel) vorgreifende Verdeutlichung,
wie bzw. in welchem Rahmen die Äußerung in ihrem Skopus zu verstehen
ist. ...
Entwicklungstendenzen
... Die Operator-Skopus-Struktur ist sprachgeschichtlich zwar keineswegs
neu (Fußnote 23), aber ihr Gebrauch scheint gegenwärtig
stark zuzunehmen, nicht nur im Mündlichen, sondern auch in schriftlichen
Texten. Die Expansion betrifft sowohl die Tatsache, dass dieser Typ von
Konstruktion bei immer mehr Ausdrücken möglich wird, wie auch,
dass bei den einzelnen Ausdrücken der Anteil der Operatorverwendung
(gegenüber den integrierten bzw. syndetischen Gebrauchsweisen) größer
wird. ...
... Auswertungen für weil in schriftsprachlichen Korpora
machen deutlich, dass weil mit Verbzweitstellung dort nach wie vor
nicht in relevanter Weise auftritt. Bei anderen Ausdrücken hingegen
ist eine deutliche Zunahme der Operator-Skopus-Konstruktion im Schriftlichen
zu verzeichnen. So kommt der (zufällig ausgewählte) Ausdruck
kein Zweifel im Bonner-Zeitungs-Korpus aus den Jahren 1949-1974 (BZK;
‚Neues Deutschland‘ und ‚Welt‘) in 3,15 Mill. Textwörtern 41 mal vor,
davon 9 mal, also in ca. 22% der Fälle, in Operatorverwendung. In
den Ausgaben der ‚Zeit‘ aus den Jahren 1995-1997, die 17 Mill. Textwörter
umfassen, finden sich hingegen 232 Vorkommen von kein Zweifel, 150
davon, entsprechend ca. 65%, in Operatorverwendung. Festzustellen ist also
eine Verdreifachung des Anteils.
Ausgehend vom mündlichen Bereich dringt die Operator-Skopus-Struktur
zunehmend in bestimmte schriftliche Textsorten ein (vor allem Kommentare,
Feuilletonartikel, Überschriften, durchaus aber auch in wissenschaftliche
Texte). Sie dient u.a. zur Konnotierung eines pointierten, strukturierten
und lakonischen Schreibstils. Diese vermehrte Verwendung von Operator-Skopus-Strukturen
in schriftlichen Texten hat – im Zusammenspiel mit der Übernahme weiterer
Phänomene - dazu geführt, eine Tendenz der Vermündlichung
der schriftlichen Syntax zu konstatieren (vgl. schon Ortner (1983, 116),
neuerdings insbesondere Sieber (1998) mit seiner Parlando-These sowie Sturm
(1998)).
Operator-Skopus-Strukturen werden im schriftlichen Medium in der Regel
als Einheit wiedergegeben, die nach einem Punkt beginnt und mit einem Punkt
abgeschlossen wird. Ihre interne Zweigliedrigkeit wird durch Interpunktionszeichen
verdeutlicht: am häufigsten durch den Doppelpunkt, aber auch durch
Komma oder Bindestrich.
Birgit
Barden
Mechthild Elstermann
Reinhard Fiehler
Anmerkung der Redaktion:
Der komplette Aufsatz (26
Seiten) steht auf der Seite des Instituts für Deutsche Sprache als
Download
zur Verfügung (231KB). Neben den oben zitierten Abschnitten enthält
er detaillierte Betrachtungen zu:
-
Eigenschaften und Leistungen
von Operator-Skopus-Strukturen
-
Klassifikation der Verstehensanweisungen
von Operatoren
-
Zur Prosodie von Operator-Skopus-Strukturen
-
Gegensatzoperatoren - einige
Beispiele
-
Konstruktionsprinzipien
-
Literatur zum Thema
Fußnoten
1
Die Transkription folgt den Transkriptionsrichtlinien des IDS. Die
Siglen verweisen auf IDS-Korpora und auf die Nummer der betreffenden Aufnahme,
der die Beispiele entnommen wurden.
2
Dieser Beitrag gibt Ergebnisse des Forschungsprojekts ‚Eigenschaften
gesprochener Sprache‘ wieder, das im Zeitraum von 1995-99 am Institut für
Deutsche Sprache durchgeführt wurde. Zur Projektgruppe gehörten
Birgit Barden (ab Januar 1996), Mechthild Elstermann, Reinhard Fiehler,
Barbara Kraft und Peter Schröder (bis Dezember 1995). Die vollständigen
Ergebnisse sind in Fiehler/Barden/Elstermann/Kraft (i.V.) dokumentiert.
3
Wir verwenden die Begriffe Operator und Skopus in einem ganz allgemeinen
Sinn: Operatoren haben einen begrenzten Bezugsbereich, eben den Skopus,
für den sie gelten und für den sie bestimmte Bearbeitungsanleitungen
geben. Dieses Prinzip ist damit entgegen der üblichen linguistischen
Verwendung dieser Begriffe nicht auf satzinterne Phänomene beschränkt.
23
Operator-Skopus-Strukturen finden sich schon in frühneuhochdeutschen
Texten. Eine Auswertung des Korpus von Schildt, auf dessen Grundlage er
die Entwicklung des deutschen Modalwortbestandes von 1570 bis 1730 untersucht
hat (vgl. Schildt 1992), erbrachte z.B. sechs Geltungsadverbialia, die
auch in Operatorposition verwendet wurden. B. Kraft ermittelte dabei folgende
Häufigkeiten: fürwa(h)r (11 von 22 Vorkommen in Operatorposition),
gewißlich (2 von 50), wahrhaf(f)tig (4 von 7), in Wahrheit
(1 von 5), warlich (6 von 20), ohne Zweifel (1 von 47). Darüber,
ob Operator-Skopus- Strukturen zu dieser Zeit auch ein Phänomen der
gesprochenen Sprache waren, können aus Datengründen keine Aussagen
gemacht werden. |